Capone: The Man and the Era
(Capone: Der Mann und die Ära)
Bergreen, Laurence
New York et al.: Simon and Schuster, 1994
701 S.
(auch auf deutsch erschienen)

Gegenstand, Methodik, Datengrundlage:
Eine journalistische Biografie von Al Capone, basierend auf anderen, früher erschienenen Biografien, Medienberichten, Regierungsunterlagen und Interviews mit Bekannten Capones und deren Nachkommen.

Inhalt:
Al Capone wurde im Jahre 1899 in Brooklyn, New York, als Kind kleinbürgerlicher Einwanderer aus Neapel geboren. Er verließ die Schule im Alter von 14 Jahren um Laufbursche für den örtlichen Betreiber einer illegalen Lotterie, John Torrio, zu werden. Mit 18 Jahren trat Capone in die Dienste von Frank Yale, einem weiteren prominenten Gangster, als Türsteher und Barkeeper in einem Tanzlokal. Bei einer Auseinandersetzung mit einem Kunden trug er die berühmte Narbe an seiner linken Wange davon, die im später den Spitznamen "Scarface" ("Narbengesicht") eintrug.
Nach seiner Hochzeit im Jahre 1918, die der Geburt seines einzigen Kindes folgte, arbeitete Al Capone kurzfristig als Buchhalter in einem normalen Bauunternehmen in Baltimore. 1921 jedoch zog es ihn nach Chicago, um wieder für John Torrio zu arbeiten. Dieser hatte zwischenzeitlich sein Operationsgebiet von New York dorthin verlagert und das Glücksspiel- und Prostitutionsgeschäft der ermordeten Unterweltgröße Jim Colosimo übernommen. 1923 übernahm Capone die Geschäfte in der Stadt Cicero, wohin Torrio sein Hauptquartier verlegt hatte, um dem neu gewählten Reformbürgermeister von Chicago, Dever, zu entgehen. Weitere zwei Jahre später trat Capone insgesamt die Nachfolge von Torrio an und rückte allmählich in den Blickpunkt der Öffentlichkeit. Anders als andere Unterweltfiguren genoss Capone die öffentliche Aufmerksamkeit.
Bis Ende der 20er Jahre war Al Capone "zur mächtigsten, wichtigsten und kontroversesten Figur in Chicago" (S. 335) mit "einem grenzenlosen Einkommen" (S. 154) aus Glücksspiel, Prostitution und illegalem Alkoholhandel geworden. Bemühungen, Capone vor Gericht zu bringen und zu verurteilen, scheiterten, bis er 1931 von einem Bundesgericht wegen Steuerhinterziehung zu einer Freiheitsstrafe von 11 Jahren verurteilt wurde. Er saß seine Haftstrafe im Cook County Jail und in den Bundesvollzugsanstalten von Atlanta und Alcatraz ab, bis er 1939 wegen seines schlechten Gesundheitszustands, bedingt durch drittgradige Syphilis, vorzeitig entlassen wurde. Al Capone starb in seinem Haus in Florida im Jahre 1947.

Zum Inhalt:
Der bedeutsamste und gleichzeitig der überzeugendste Aspekt von Bergreens Biografie von Al Capone ist der Versuch, den Menschen hinter dem Schleier mythischer Verklärung zu zeigen. Bergreen folgt der Chronologie der Ereignisse, er zitiert Menschen, die Capone getroffen haben und ihre Überraschung darüber zum Ausdruck bringen, wie anders er doch gewesen sei: hoch gewachsen, mit sanfter Stimme, charmant, ein hoch intelligenter Geschäftsmann, ein sehr netter, liebenswerter Kerl, der generös Trinkgelder verteilte und in großem Stil Geld ausgab usw. Im Gegensatz dazu fallen die Angaben zu seinen Aktivitäten, seiner Macht und seinem Einfluss und zur Struktur der so genannten Torrio-Capone-Organisation ziemlich knapp und dabei auch durchaus widersprüchlich aus. Bergreen schreibt von Capones organisatorischem Genie, aber er erwähnt nicht, wie genau er dieses Talent eingesetzt hat. Ebenso betont er die Machtstellung Capones. Dieser habe das Alkoholgeschäft "dominiert", er sei "de facto Bürgermeister von Chicago" (S. 299) gewesen usw. Gleichwohl behauptet Bergreen, während der 20er, 30er und 40er Jahre sei nicht Capone, sondern Frankie La Porte, ein Gangster aus Chicago Heights, der "ultimative Boss" gewesen, der "wahre Kopf" der Organisation (S. 406, 591, 609, 615). Ja, Bergreen geht sogar soweit die Möglichkeit anzudeuten, dass Capone seinen Ruf als großer Unterweltboss überhaupt nur unrichtigen Presseberichten verdankte. Die Struktur der Torrio-Capone-Organisation wird nur nebenbei angesprochen, z.B. wenn Bergreen erwähnt, Capone habe irgendwann die täglichen Aufgaben an seinen Bruder Ralph und an seinen Geschäftspartner Jack Guzik übergeben (S. 188). Aber wenig wird gesagt zur Beziehung zwischen den Capone Brüdern und den Männern in ihrem engsten Umfeld.
Trotz der mehreren hundert Seiten, die Bergreen gefüllt hat, bleiben wichtige Aspekte und Ereignisse weitgehend im Dunkeln, wie der gewaltsame Konflikt um die Retail Cleaner's and Dyers' Association, bei dem es um die Erpressung von Unternehmern ging und anhand dessen sich die Grenzen der Macht Capones auf dem Höhepunkt seiner Gangsterkarriere im Jahre 1928 zeigen lässt. Bedauerlich ist auch, dass Bergreen die Forschungsarbeiten von Mark H. Haller zur Struktur des "Capone Syndikats" unbeachtet gelassen hat. Diese hätten die Grundlage für eine eingehendere Analyse von Capones Geschäftsbeziehungen bieten können. So werden einige "Mythen und Pseudofakten" (S. 530) nicht wirklich in Frage gestellt und Capone bleibt "der bekannteste, am wenigsten verstandene Gangster von allen" (S. 605).

Gesamtbewertung:
Eine auf Persönlichkeitsmerkmale konzentrierte Biografie, die gut geschrieben ist, aber den Dingen wenig Beachtung schenkt, die für diejenigen besonders interessant sind, die sich für organisierte Kriminalität interessieren.


Weiterführende Literatur:
Haller, Mark H., Illegal Enterprise: A Theoretical and Historical Interpretation. Criminology 28(2), 1990, 207-235.
Kobler, John, Capone: The Life and World of Al Capone. New York: G.P. Putnam's Sons, 1971.


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