Illegal, legal - egal? Zu Entstehung, Struktur und Auswirkungen illegaler Märkte
Claudio Besozzi
Bern: Verlag Paul Haupt, 2001
218 S.


Gegenstand, Methodik, Datengrundlage:
Eine systematische Aufarbeitung der internationalen Literatur zum Thema illegale Märkte.

Inhalt:
Unter dem Begriff des illegalen Marktes versteht man jeden Geschäftsvorgang, der mindestens einen gesetzeswidrigen Aspekt enthält, angefangen bei der Produktion, über die Ein- und Ausfuhr bis zum Vertrieb von Gütern und Dienstleistungen.
Die Dichotomie von "legal" und "illegal" ist nicht frei von Widersprüchen. Legalität und Illegalität sind die beiden Extreme eines Kontinuums. Die Einordnung von Märkten auf diesem Kontinuum unterliegt historischen Veränderungen, wie beispielhaft die Geschichte des Sklavenhandels oder des Drogenhandels zeigt.
Geschäfte außerhalb der vom Gesetz festgelegten Grenzen werden üblicherweise als Bedrohung wahrgenommen und illegalen Märkten insbesondere die folgenden Wesenszüge zugeschrieben:
- Monopolisierung
- Dominanz mafioser Gruppen
- Prinzip der wirtschaftlichen Rationalität
- hohe Profite
- Destabilisierung der legalen Wirtschaft und Gesellschaft durch illegale Profite.
Diesem Vorstellungsbild liegen unzutreffende Annahmen zugrunde.
Anstelle monopolistischer Tendenzen bieten illegale Märkte zahlreiche ökonomische Anreize für kleine Unternehmungen auf lokaler Basis. Zudem ist zur Risikominimierung eine Begrenzung und Segmentierung illegaler Unternehmen erforderlich. Soweit mafiose Gruppen in illegalen Märkten involviert sind, so nicht als Unternehmenseinheiten, sondern in der Gestalt einzelner unternehmerisch tätiger Mitglieder.
Illegale Unternehmen zeichnen sich typischerweise nicht durch kontinuierliche Strukturen aus, die auf klare Ziele ausgerichtet sind. Vielmehr strukturiert sich das Angebot illegaler Güter meist aufgrund einer in Zeit und Raum begrenzten, in eher unstabilen Beziehungsnetzen sich ergebenden Gelegenheit, ein Geschäft zu machen. Dabei handeln illegale Unternehmer nicht ausschließlich nach rationalen Kriterien: Entscheidungen werden häufig im Kontext eines hedonistischen Lebensstils und ohne Abwägung von Kosten, Nutzen und Risiken getroffen.
Annahmen über die Profitabilität illegalen Wirtschaftens und darauf aufbauende Bedrohungsszenarien sind Ergebnis von vereinfachenden, verzerrenden und empirisch unbelegten Mutmaßungen. Die illegalen Gewinne, die nach erfolgreich abgeschlossenen Geldwäsche-Operationen in die legale Wirtschaft gelangen, werden überschätzt. Bei den meisten Personen, die in illegale Geschäfte verwickelt sind, scheint die Tendenz zu überwiegen, das Geld so leichtfertig auszugeben, wie es verdient worden ist. Diese Neigung dürfte in einer Art Kultur der Illegalität verankert sein, die ihre Begründung in erster Linie im zeitlich eng begrenzten Horizont des kriminellen Unternehmers findet.
Die Vorstellung von einer Bedrohung der legalen Ökonomie durch illegale Profite impliziert ein ursprünglich reines Wirtschaftssystem und die Möglichkeit einer klaren Unterscheidung zwischen legaler und illegaler Wirtschaftstätigkeit. So gesehen erweist sich die Bedrohungsthese als gesellschaftliches Konstrukt. Einmal im Kreislauf der legalen Ökonomie angelangt, verhält sich "schmutziges" Geld genauso wie Geld, das aus legitimen Quellen stammt.
Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Probleme, die mit illegalen Märkten einhergehen, wie Kinderarbeit oder Menschenhandel, in Abrede gestellt werden. Aber die Ursache dieser Probleme darf nicht außerhalb der Gesellschaft gesucht werden. Die illegalen Märkte sind Bestandteile von Gesellschaft und Kultur. Sie sind es, weil sie einem Bedürfnis entsprechen, weil sie eine Funktion erfüllen und weil sie von der gesellschaftsinhärenten Ambivalenz geprägt sind, die zwischen dem Erlaubtem und dem Verbotenen besteht.

Beurteilung:
Illegale Märkte wurden bislang entweder im Rahmen allgemeiner Abhandlungen über organisierte Kriminalität oder eingegrenzt auf einzelne Deliktsfelder diskutiert und analysiert. Claudio Besozzi gelingt mit seiner sorgfältigen, nüchternen und auf eine reichhaltige Literatursammlung gestützten Untersuchung erstmals eine historisch und systematisch umfassende Aufarbeitung dieser speziellen Materie. Er legt dabei zwar den Schwerpunkt auf die Erörterung des Drogenhandels, weil hier die Erkenntnisse am fundiertesten sind. Nähere Berücksichtigung finden aber auch der Menschenhandel und der illegale Waffenhandel.
Besonders bedeutsam ist, dass Besozzi neben den im deutschen Sprachraum mittlerweile schon recht umfassend rezipierten amerikanischen Autoren, wie namentlich Peter Reuter, insbesondere auch die italienischsprachige Literatur ausführlich zitiert.
Die Arbeit ist darauf angelegt, die in Politik und Medien geschaffenen Mythen über die Struktur und gesellschaftliche Tragweite illegaler Märkte zu zerstören. Besozzi begeht dabei nicht den Fehler, den andere Autoren vor ihm gemacht haben, nämlich in einer rein negierenden Haltung zu verharren. Vielmehr bemüht er sich um eine differenzierte, konstruktiv-kritische Bewertung der vielfältigen Facetten illegaler Wirtschaftstätigkeit, die sich nicht nur gegen populäre Vorstellungsbilder richtet, sondern mitunter auch gegen "linke" Gegenkonzepte (vgl. S. 74f).
Etwas inkonsequent ist Besozzi bei der Verwendung offizieller Zahlen und amtlicher Schätzungen. Verweist er einerseits auf die dubiosen Zahlenspiele, mit denen etwa in Bezug auf das behauptete Ausmaß der Geldwäsche operiert wird (S. 109ff.), finden sich keine vergleichbaren Vorbehalte bei der Bewertung positiver gesellschaftlicher Auswirkungen illegaler Märkte (S. 146ff.).
Was überrascht, zumal Besozzi sich zuvor mit einer Arbeit über die empirische Erforschung organisierter Kriminalität einen Namen gemacht hat, ist der weitgehende Verzicht darauf, den Schritt von der Systematisierung des Gegenstandsbereichs zur Formulierung von Forschungsfragen zu gehen. Im Gegenteil betont er mit resignativem Unterton die Vielschichtigkeit und beständige Wandlung illegaler Märkte, die keinen allgemeingültigen Regeln unterworfen seien (S. 60). So sieht er die Aufgabe der Forschung nicht in der Entwicklung empirisch fundierter Theorien illegaler Märkte, sondern explizit nur im kritischen Hinterfragen etablierter Vorstellungen mit dem Ziel, eine gesellschaftliche Grundsatzdebatte darüber zu fördern, wie eine vernünftige Balance zwischen der Bekämpfung von Risiken und der Schaffung und Erhaltung von Lebensqualität hergestellt werden kann.

Gesamtbewertung:
Eine sorgfältige, reichhaltig belegte Zusammenfassung des aktuellen Erkenntnisstandes zu Struktur und Entwicklungsdynamiken illegaler Märkte, die neben der nordamerikanischen Literatur insbesondere auch italienischsprachige Autoren zu Wort kommen lässt.


Weiterführende Literatur
Claudio Besozzi, Organisierte Kriminalität und empirische Forschung, Chur:Rüegger, 1997.
Arthur Hartmann, Die Mafia und ihre Strukturen: Das Unternehmenskonzept der organisierten Kriminalität in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung, in: Kriminalistik 54(10), 2000, 642-649.
Klaus von Lampe, Organized Crime: Begriff und Theorie organisierter Kriminalität in den USA, Frankfurt/M.: Peter Lang, 1999, S. 207-218 ("Illegale Unternehmen als 'kriminelle Organisationen'"), 228-257 ("Die Struktur illegaler Märkte und der Unterwelt insgesamt"), 274-293 ("Das Verhältnis von 'organized crime' und legaler Wirtschaft").
Ulrich Sieber/Marion Bögel, Logistik der Organisierten Kriminalität, Wiesbaden: Bundeskriminalamt, 1993.


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