Illegale Märkte für Heroin und Kokain
Norman Braun, Bruno Nydegger Lory, Roger Berger, Claudia Zahner
Bern: Verlag Paul Haupt, 2001
235 S.


Gegenstand, Methodik, Datengrundlage:
Diese Untersuchung geht der Frage nach, inwieweit theoretische Überlegungen zum Suchtverhalten und Drogenmarktgeschehen empirische Relevanz besitzen. Hierzu wurde im Sommer 1997 eine koordinierte standardisierte Befragung (n=972) der Angehörigen der "sichtbaren Drogenszenen" in den Städten Basel (n=348), Bern (n=288) und Zürich (n=336) und im Sommer 1998 eine Wiederholungsbefragung (n=419) in Bern (n=198) und Zürich (n=221) durchgeführt. Die Zweitbefragung erfolgte nach einer im Januar 1998 eingeleiteten Änderung der Drogenpolitik in Bern hin zu einer rigoroseren Verfolgung des Zwischen- und Großhandels harter Drogen. Dieser Umstand bot die Gelegenheit, konkret Marktwirkungen der Repression zu untersuchen.
In die Befragung einbezogen wurden Konsumenten von Heroin und/oder Kokain, die im Erhebungszeitraum niedrig schwellige Einrichtungen der Drogenhilfe aufsuchten bzw. sich an bekannten Treffpunkten aufhielten. Die einzelnen Befragungen wurden mit Hilfe eines standardisierten Fragebogens durchgeführt. Der erste Teil wurde im Rahmen eines persönlichen Interviews durch die befragende Person ausgefüllt, der zweite Teil durch die befragte Person selbst. Die Befragten erhielten für die Interviewteilnahme Bar- und Sachleistungen im Wert von insgesamt 10 CHF.

Zum Inhalt:
Die untersuchten Konsumenten waren zu rd. einem Viertel Frauen gegenüber knapp drei Viertel Männer mit einem Durchschnittsalter von rd. 30 Jahren. Es handelt sich nicht ausschließlich um sozial verwahrloste Personen, sondern auch um sozial integrierte Personen. Über 80 % der Befragten verfügten über einen festen Wohnsitz und rd. 36 % erzielten Einkünfte aus legaler Erwerbsarbeit. Einkünfte aus Eigentumsdelikten gaben rd. 5 % an, aus Prostitution rd. 8 % und aus Drogengeschäften rd. 30 %. Die meisten (rd. 60 %) erhielten zumindest teilweise öffentliche Unterstützung wie Arbeitslosenhilfe, Sozialhilfe oder Renten, rd. 23 % erhielten private Unterstützung von Verwandten und Freunden. Knapp ein Drittel der Befragten bezeichneten mehrheitlich oder ausschließlich abstinente Personen als zu ihrem Freundeskreis zugehörig. Dabei hatten erwerbstätige Personen regelmäßig eher Freundschaften, die mit Drogen wenig zu tun haben.
Das Konsumverhalten ist durch den Gebrauch mehrerer Drogen gekennzeichnet, was auf ein relativ breites Angebot und die komplementäre Wirkung der Substanzen zurückgeführt werden kann. Rd. 39 % der Befragten konsumierten Heroin täglich, rd. 32 % nahmen täglich einen Cocktail aus Heroin und Kokain, rd. 15 % gebrauchten täglich Kokain. Daneben gaben rd. 19 % täglichen Cannabis-Konsum und rd. 10 % täglichen Konsum von Rohypnol an.
Die Änderung der Repressionsstrategie in Bern mit einer stärker auf den Groß- und Zwischenhandel ausgerichteten Zielsetzung führte zu einer signifikanten Abnahme der Kontrollen bei nicht-dealenden Konsumenten. Demgegenüber ist die Repressionserfahrung bezüglich Kontrollen und Anzeigen der mehrheitlich einheimischen Drogenverkäufer unverändert geblieben. Dieser Befund legt die Vermutung nahe, dass sich die polizeilichen Maßnahmen gegen den Drogenhandel weitgehend auf ausländische Personen konzentrierten.
Die Vernetzung der Marktteilnehmer spiegelt sich in dem Umstand, dass Heroin und Kokain überwiegend von zumindest oberflächlich bekannten Personen gekauft und mehrheitlich an wenigstens vom Sehen bekannte Personen verkauft werden. Dabei sind die Drogenqualität und der Drogenpreis für die große Mehrheit die hauptsächlichen Gründe für den Kauf bei Bekannten. Andere potenzielle Motive wie gute Erreichbarkeit des Verkäufers, Sympathie gegenüber dem Anbieter oder Sicherheitsüberlegungen werden dagegen nur von einer Minderheit als zentral klassifiziert. Zwischen dem anonymen Kauf von Heroin und der selbst eingeschätzten Stoffqualität lässt sich eine signifikante negative Beziehung nachweisen. Daneben müssen Akteure ohne Sozialkapital auch anderweitig schlechtere Geschäftsbedingungen akzeptieren. Die Wahrscheinlichkeit eines mengenunabhängigen Rabatts variiert mit der Käufer-Verkäufer-Beziehung. Geschäfte mit einer zeitlichen Asymmetrie zwischen Angebots- und Nachfrageleistung sind durch enge persönliche Verbindungen zwischen den Tauschpartnern gekennzeichnet, z.B. durch die Erbringung von Hilfsdiensten wie Schmierestehen. Die Heroinnachfrage reagiert im Durchschnitt weniger preiselastisch als die Kokainnachfrage. Insgesamt kann aber die Nachfrage nach harten Drogen kaum als nur eine Funktion des jeweiligen Preises angesehen werden. Faktoren wie die Höhe des Einkommens und die soziale Integration in nicht Drogen bezogene Zusammenhänge spielen für den Kokainkonsum eine wichtige Rolle. Allerdings fehlt - entgegen theoretischer Annahmen - eine entsprechende Beziehung zwischen sozialer Integration und dem Gebrauch von Heroin. Keinen negativen Effekt auf den Drogenkonsum hat auch die subjektiv erfahrene Repression. Im Gegenteil: sowohl der Konsum von Heroin wie von Kokain verändert sich positiv mit der persönlich erfahrenen Repression. Im Städtevergleich zeigte sich zudem, dass die verstärkte Repression gegen den Groß- und Zwischenhandel in Bern im Vergleich zur unveränderten Situation in Zürich keine signifikanten Auswirkungen auf den Preis und die Qualität der im Einzelhandel angebotenen Drogen hatte und sich die Markttransparenz in Bern sogar verbesserte.

Beurteilung:
Die Untersuchung verwendet das klassische Instrumentarium quantitativer Sozialforschung, um Fragen zur Struktur und Funktion des Drogenhandels zu klären. Mit aufwendigen statistischen Analysen gelangen die Autoren zu wichtigen Schlussfolgerungen, insbesondere zur Ineffektivität staatlicher Repressionsmaßnahmen. Hier bestätigen sie die Ergebnisse anderer Forschungsarbeiten. Gleichzeitig zeigt die Untersuchung die Grenzen quantitativer Ansätze auf. So wird beispielsweise das Vorhandensein von Sozialkapital im Sinne des Bestehens von Vertrauen zwischen Akteuren mit Hilfe der Frage nach der Kenntnis von Telefonnummern und Adressen wohl nur sehr unzureichend gemessen. Qualitative Methoden würden hier sicherlich zu zuverlässigeren und aussagekräftigeren Angaben führen und zumindest eine ergänzende ethnographische Untersuchung wäre sinnvoll und hilfreich gewesen. Dies erscheint an einem Punkt besonders dringlich, der Frage nach der Bedeutung von Gewalt und der Androhung von Gewalt. Die Autoren folgern aus der Seltenheit der Erbringung vertrauensfördernder Vorleistungen (Pfänder), dass Transaktionen tendenziell im Rahmen dauerhafter, durch "hochgeschätzte Vertrauenswürdigkeiten" gekennzeichneter Beziehungen stattfinden (S. 91). Sie übersehen dabei aber, dass in einer Situation latenter Gewalt, von der im Drogenhandel im Zweifel auszugehen ist, der eigene Körper in dem Maße eine Art Pfand darstellt wie der Schutz der körperlichen Unversehrtheit nicht gewährleistet ist.

Gesamtbewertung:
Eine wichtige Untersuchung, die die Möglichkeiten statistischer Methoden für die Erforschung des Drogenmarktes weitgehend ausschöpft, aber gleichzeitig auch die Grenzen dieser Herangehensweise aufzeigt. An vielen Stellen wünscht man sich die Ergänzung des quantitativen Instrumentariums durch qualitative Untersuchungsmethoden.


Weiterführende Literatur:
Best, David, John Strang, Tracy Beswick und Michael Gossop, Assessment of a Concentrated High-Profile Police Operation: No discernible Impact on Drug Availability, Price or Purity, British Journal of Criminology, 41(4), 2001, 738-745.
Gruppo Abele, Synthetic Drugs Trafficking in Three European Cities: Major Trends and the Involvement of Organized Crime - Final Report. Turin, Italien: Gruppo Abele, 2003.
Kemmesies, Uwe, Drogenszenen im Vergleich: Amsterdam und Frankfurt/M., Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform, 80(5), 1997, 307-323.
Kreuzer, Arthur, Jugend, Rauschdrogen, Kriminalität, Wiesbaden: Akademische Verlagsanstalt, 1978.
May, Tiggey, und Michael Hough, Illegal Dealings: The Impact of Low-Level Police Enforcement on Drug Markets, European Journal on Criminal Policy and Research, 9(2), 2001, 137-162.


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