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Muskel-Adolf & Co.: Die "Ringvereine" und das organisierte Verbrechen in Berlin
Peter Feraru
Berlin: Argon, 1995
224 S.
Gegenstand, Methodik, Datengrundlage:
Eine journalistische, teilweise in fiktive Nacherzählung übergehende Abhandlung über die historische Entwicklung der Ringvereine in Berlin von ihren Anfängen bis zu ihrem endgültigen Ende in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts, gestützt auf Interviews mit drei Ringvereinsmitgliedern und einem weiteren Zeitzeugen, sowie auf die Auswertung von Polizei- und Gerichtsakten, zeitgenössischen Zeitungsberichten und der einschlägigen Literatur.
Zum Inhalt:
Die Ringvereine waren von Straffälligen gegründete, eingetragene Vereine, die offiziell der gegenseitigen Hilfe in sozialen Notlagen und der kulturellen Betätigung dienen sollten. Tatsächlich förderten sie aber auch die kriminellen Aktivitäten ihrer Mitglieder und übten die Funktion einer Standesorganisation aus, die Regeln setzte und durchsetzte.
1890 wurde der erste "Reichsverein ehemaliger Strafgefangener" gegründet. Diesem Beispiel folgten bald weitere ähnliche Zusammenschlüsse in Berlin und anderen Städten. 1898 bildeten die Berliner Ganovenvereine einen Dachverband, den "Ring Berlin". Von diesem Namen leitet sich die Bezeichnung "Ringvereine" ab.
Außerhalb Berlins schloss man sich zum "Norddeutschen Ring" und zum "Mitteldeutschen Ring" zusammen. Diese beiden Dachverbände bildeten schließlich zusammen mit dem "Ring Berlin" die Dachorganisation "Ring Großdeutschland".
Die Ringvereine vereinigten in ihren Reihen ein breites Spektrum von Kriminellen, insbesondere Diebe, Einbrecher, Betrüger, Hehler und Zuhälter. Die Mitglieder zahlten einen Anteil ihrer illegalen Erträge in die Vereinskasse. Weitere Einnahmen wurden durch die Beiträge sogenannter Ehrenmitglieder erzielt. Dabei handelte es sich um Angehörige der feinen Gesellschaft.
Die Blütezeit der Ringvereine waren die späten 20er und frühen 30er Jahre. Es bestanden gute Kontakte zu den politischen und gesellschaftlichen Eliten. Illegale Spielkasinos beispielsweise, in denen Geschäftsleute, Richter und Politiker verkehrten, blieben von Razzien verschont.
Kurz nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurden die Ringvereine verboten und die meisten der Mitglieder kamen in Haft, in Konzentrationslager oder in Arbeitslager. Nur wenige "Ringbrüder" überlebten das 3. Reich.
Neugründungen von Ringvereinen nach 1945 waren nur kurzlebig. Die in Berlin 1952 gegründeten "Sparvereine", die Bezeichnung "Ringverein" durfte nicht mehr verwendet werden, wurden 1958 verboten.
Beurteilung:
Feraru hat keine fortlaufende Geschichte geschrieben, sondern er präsentiert das ihm zur Verfügung stehende Material in in sich abgeschlossenen Kapiteln über einzelne Begebenheiten, Themenkomplexe und Anekdoten. Dabei wechselt er zwischen dokumentgestützter Reportage und der Wiedergabe persönlicher Erinnerungen der von ihm befragten Zeitzeugen, jeweils mit einer unterschiedlich starken dramatischen Anreicherung des Datenmaterials. Damit ist das Buch nicht aus einem Guss und auch kein lupenreines Sachbuch. "Alle hier erzählten Geschichten", erklärt der Autor einleitend, "orientieren sich an tatsächlichen Begebenheiten" (S. 9).
Ist man bereit, sich auf ein solcherart konzipiertes Buch einzulassen, erfährt man eine Menge über das kriminelle Milieu in Berlin von der Kaiserzeit bis in die 50er Jahre des 20. Jahrhunderts. Und zwar nicht nur über die Ringvereine, sondern auch z.B. über die Einbrecher Gebrüder Saß, die mit den Ringvereinen unmittelbar nichts zu tun hatten.
Etwas bedauerlich ist, dass über die Strukturen der Ringvereine insgesamt recht wenig mitgeteilt wird. So bleibt insbesondere unklar, inwieweit die Ringvereine mit ihren Strukturen direkt bei der Ausführung von Straftaten beteiligt waren. So heißt es an einer Stelle, bestimmte Ringvereine hätten in großem Stil mit Kokain gehandelt (S. 70). Zwei Seiten weiter ist dann aber davon die Rede, dass nur die "größeren Brüder", also einzelne besonders zahlungskräftige Vereinsmitglieder, am Rauschgifthandel beteiligt gewesen seien (S. 72). Dies wäre die wahrscheinlichere und plausiblere Variante, wenn man etwa die Cosa Nostra als Vergleichsmaßstab heranzieht.
Gesamtbewertung:
Ein interessantes, ehrlich geschriebenes Buch mit einer breiten Datengrundlage zum Thema Ringvereine und kriminelles Milieu in Berlin zwischen 1890 und 1960. Hinsichtlich der Strukturen der Ringvereine und ihrer genauen Funktion im Kontext illegaler Unternehmungen bleiben allerdings einige wichtige Fragen offen.
© Klaus von Lampe, alle Rechte vorbehalten.
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