Jürgen Roth, Rainer Nübel, Rainer Fromm
Frankfurt am Main: Eichborn, 2007
304 S.
Gegenstand, Methodik, Datengrundlage:
Eine Sammlung von Fällen, in denen nach Ansicht der Autoren die deutsche Justiz, insbesondere die Staatsanwaltschaft, versagt hat.
Inhalt:
Die drei Autoren diagnostizieren ein Systemproblem der Strafjustiz in Deutschland. Es werde, teilweise wegen fehlender Geldmittel, teilweise aufgrund institutioneller Interessen der Strafverfolgungsbehörden, teilweise bedingt durch behördliche Inkompetenz, teilweise aufgrund der bestehenden Machtverhältnisse, nicht konsequent gegen Straftäter ermittelt. Dies soll mit einer Reihe von Fallbeispielen, zumeist aus der Sicht eines Opfers oder engagierten Aufklärers geschildert, belegt werden.
Die ausführlichsten Fallbeschreibungen betreffen Spielkasinos, die den Einsatz offensichtlich aus Straftaten stammender Gelder akzeptieren, den über Jahre fortgesetzten brutalen sexuellen Missbrauch von Kindern bis hin zum Mord durch eine Gruppe angesehener Bürger, die Verwicklungen einer CDU-Politikerin und Richterin in dubiose Vermögensverschiebungen zu Lasten eines Frankfurter Geschäftsmannes, die ärztliche Falschbehandlung einer Schwangeren mit tödlichem Ausgang, die politische Einflussnahme auf Steuerstrafverfahren in Hessen, Graumarktgeschäfte mit Daimler-Benz-Fahrzeugen, Bestechungszahlungen deutscher Unternehmen im Zusammenhang mit dem Öl-für-Lebensmittel-Programm der UNO, Kinderprostitution an der deutsch-tschechischen Grenze, Verflechtungen zwischen Kriminellen, Unternehmern und Polizeibeamten in der Stadt Plauen in Sachsen, ein Kindermord in Baden-Württemberg, die mutmaßliche Nutzung der Wohnung eines Neu-Ulmer Ehepaars durch einen Terrorfahnder der CIA, die Rolle der DSL Bank im Rahmen diverser Affären, einschließlich der Leuna-Affäre, und die kriminellen Aktivitäten eines mutmaßlichen ehemaligen V-Mannes.
Zwei Fälle passen nicht in das Schema einer untätigen Justiz, zum einen das Schicksal eines verurteilten Sexualstraftäters, der aufgrund verschärfter Gesetze nicht aus dem Maßregelvollzug entlassen wird, obwohl es sich nach Einschätzung der forensischen Klinik um eine "Fehleinweisung" gehandelt hat, zum anderen die Existenzvernichtung eines auf die Behandlung von Borreliose spezialisierten Arztes, der nach Ansicht der Autoren als Opfer eines "Rachefeldzuges" der AOK-Hannover unbegründeter Strafverfahren wegen Abrechnungsbetrugs und fahrlässiger Tötung ausgesetzt war.
Beurteilung:
"Anklage unerwünscht!" hat im Vorfeld seiner Veröffentlichung falsche Erwartungen geweckt. Aufgrund der Dauerpräsenz in den Medien von Co-Autor Jürgen Roth im Zusammenhang mit dem "Leipziger Sumpf" war in der Öffentlichkeit der Eindruck entstanden, "Anklage unerwünscht!" würde eine Aufarbeitung von Verstrickungen von Unterwelt und Oberwelt in Leipzig enthalten. Tatsächlich beleuchtet das Buch die Leipziger Verhältnisse nur indirekt, soweit es in dem Kapitel über Plauen ähnliche Strukturen beschreibt. Ansonsten behandelt "Anklage unerwünscht!" diese Thematik nur noch ansatzweise, etwa wenn es um die politische Protektion von Steuerstraftätern in Hessen geht.
Insgesamt zieht sich durch das Buch nur ein sehr dünner roter Faden und nicht alle Fallbeispiele sind in gleichem Maße geeignet, die These der Autoren zu stützen, die deutsche Justiz befinde sich in einer schweren Krise. Manche Fälle erscheinen tatsächlich nur Einzelfälle zu sein und nicht immer ist das Versagen der Justiz so eindeutig und skandalträchtig, wie von den Autoren hingestellt. Der Wert des Buches liegt darin, Ereignisse und Schicksale, die dem normalen Zeitungsleser leicht entgehen können, aus der Versenkung der Nachrichtenflut zu heben und mit der durchaus berechtigten Frage nach der Effektivität und politischen Unabhängigkeit der deutschen Justiz zu verknüpfen.
Gesamtbewertung:
Eine auf kleinem gemeinsamem Nenner beruhende Zusammenstellung von Fallbeispielen, die nicht immer in gleicher Weise überzeugend Defizite der deutschen Strafjustiz aufzeigen.
Weiterführende Literatur
Jürgen Roth, Ermitteln verboten!, Frankfurt am Main: Eichborn, 2004
Jürgen Roth, Der Deutschland Clan: Das skrupellose Netzwerk aus Politikern, Top-Managern und Justiz, Frankfurt am Main: Eichborn, 2006
Jürgen Roth, Mafialand Deutschland, Frankfurt am Main: Eichborn, 2009
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