Schneekönig: Mein Leben als Drogenboss
Ronald Miehling mit Helge Timmerberg
Reinbek: Rowohlt Taschenbuch Verlag, 2004
157 S.


Gegenstand, Methodik, Datengrundlage:
Die Autobiografie des ehemaligen Hamburger Drogenhändlers Ronald Miehling, der Anfang der 90er Jahre im großen Stil Kokain über Holland und die Karibik nach Deutschland einführte und absetzte und 1996 zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt wurde.

Inhalt:
Ronald Miehling wird 1950 als Sohn eines Polizeibeamten geboren. Mit 20 beginnt er eine Karriere als Zuhälter, verlegt sich nach einem Jahr jedoch auf andere, mehr oder weniger illegale Geschäfte. Als er mit einem Komplizen versucht, Geld einzutreiben, trifft den Schuldner eine tödliche Kugel und Miehling wird zu zehn Jahren Haft verurteilt.
Nach seiner Haftentlassung kommt er über einen alten Bekannten in Kontakt mit Günter, der als Kurier Drogen aus dem Nahen Osten geholt hat, nach einem Streit mit seinen Partnern aber nun nach neuen Kontakten sucht. Er hat gehört, dass Miehling im Gefängnis Kontakte zu Kokainlieferanten in Holland geknüpft habe. Kurz darauf treffen sie sich in Amsterdam mit einem Haftgenossen Miehlings. Jimmi ist Einwanderer von den niederländischen Antillen und kann für 7.000 DM 100g im Verhältnis 1:1 gestrecktes Kokain besorgen. Nachdem Miehling und Günter es noch einmal im selben Verhältnis gestreckt haben, verkaufen sie das Kokain in Hamburg mit einem Gewinn von 13.000 DM. Beim zweiten Mal nehmen sie ein halbes Kilo zum Preis von 30.000 DM, das sie pressen und in Bruchstücken anbieten, um den Eindruck zu vermitteln, es handle sich um reines Kokain. Auf diese Weise gelingt es den beiden, einen Gewinn von 120.000 DM zu erzielen. In der Folgezeit übernimmt Günter den Ankauf und den Transport während Miehling den Kundenkreis ausbaut: "Das war Lauferei ohne Ende" (S. 14).
Irgendwann fragt Miehling Jimmi, ob er nicht in seiner alten Heimat professionelle Kontakte habe. Dieser bejaht, und so fliegen Jimmi, Miehling, Günter sowie Werner, ein von Günter für 10.000 DM Erfolgshonorar pro Tour angeheuerter Kurier, nach Curacao. Jimmi trifft auf Freunde aus Amsterdam, die, auf Kontakte angesprochen, sich selbst als Kokainlieferanten anbieten. Nach aufwändiger Anbahnung und mehrstufigem Qualitätstest wechseln knapp zwei Kilo 90-95 Prozent reines Kokain den Besitzer. In zwei Socken im Koffer des Kuriers versteckt gelangt das Rauschgift unbehelligt durch alle Zollkontrollen und findet schließlich, im Verhältnis 1:1 gestreckt und zum Preis von 100 DM pro Gramm angeboten, seinen Weg auf den Hamburger Drogenmarkt. Nach drei Wochen sind die Bestände soweit geschrumpft, dass ein zweiter Direktimport notwendig wird. Für diesen Zweck gibt Miehling bei einem Kunden, einem Modelltischler, die Anfertigung von Koffern mit doppeltem Boden in Auftrag. Entsprechend ausgestattet fliegen Miehling, Günter und Werner erneut nach Curacao. Diesmal arrangiert Jimmi ein Treffen mit einem neuen Anbieter, der sich nach kurzer Kennenlernphase bereit erklärt, vier Kilo hochwertiges Kokain zu liefern.
Zurück in Hamburg tauchen erste Probleme auf, weil Günter es sich nicht nehmen lassen will, zur Erzielung höherer Gewinne Kleinmengen an Junkies zu verkaufen. Wie befürchtet verrät ein von der Polizei festgenommener Junkie Günter als seinen Lieferanten, der daraufhin in Untersuchungshaft wandert. Miehling und Günter kommen überein sich zu trennen. Miehling zahlt eine Abfindung von 50.000 DM und macht Werner zu seinem neuen Partner. Dieser wirbt zwei neue Kuriere an und zu viert holen sie zwölf Kilo Kokain aus Curacao.
Kaum zurückgekehrt lädt Jimmi Miehling und Werner nach Amsterdam ein. Kokain-Dealer aus aller Welt treffen sich zu einer Weihnachtsparty. Hier macht Miehling die Bekanntschaft von Kim aus New York. Beide treffen sich in der Folgezeit mehrmals ohne direkt über Geschäfte zu sprechen. Dann schlägt Kim ein Treffen auf Curacao vor. Während Jimmi von Holland aus telefonisch die Lieferung von 24 Kilo zum Preis von 200.000 DM arrangiert, die diesmal von sechs Kurieren nach Deutschland geschmuggelt werden sollen, bringt Kim Miehling mit verschiedenen Südamerikanern zusammen, die ihn, wie er fühlt, "auschecken". Zwei Tage später eröffnet Kim das Angebot zu einem gemeinsamen Abstecher nach Venezuela, der, wie sich herausstellt, bis nach Bogota führt, wo Miehling dem Drogenboss Fernando vorgestellt wird. Auch hier geht es nicht um Geschäfte, sondern darum festzustellen, ob Miehling ein "seriöser Krimineller" ist.
Die Rückreise verläuft ohne Probleme. In Hamburg wird beschlossen, das Kokain nicht mehr zu strecken, sondern pur zu verkaufen. "Das macht weniger Arbeit, und Qualität setzt sich durch" (S. 77-78). Nach schleppendem Beginn sind die 24 Kilo in zwei Wochen abgesetzt.
In dieser Situation erreicht Miehling eine Einladung von Kim zu einem Treffen in Amsterdam. Zwei Kolumbianer, die Miehling auf Curacao und in Bogota kennen gelernt hat, sichern ihm zu, auf Abruf jederzeit jede Menge Kokain nach Hamburg zu liefern zu einem Kilopreis von 40.000 DM.
"Von nun an", so Miehling rückblickend, "diktierten wir die Preise am Hamburger Markt". Miehlings "Firma" verkauft nur noch an Dealer und nur noch in Mengen ab einem Kilo. In den kommenden vier Monaten unternehmen sie mit einer wachsenden Zahl von Kurieren vier Schmuggelreisen nach Curacao während mit zweiwöchentlichen Einkäufen bei Kim auftretende Engpässe überbrückt werden. Damit taucht ein neues Problem auf: Miehling und seine Frau sind trotz ausschweifenden Lebenswandels, den sie mittlerweile angenommen haben, "nicht mehr in der Lage, das Geld auszugeben" (S. 81), und das Hantieren mit großen Geldmengen gestaltet sich zunehmend schwieriger. Als Kim ausstehende Zahlungen und Beträge für weitere Lieferungen im Umfang von einer Million DM in US Dollar fordert, gelingt es Miehling lediglich, 250.000 Dollar mit Hilfe seines Bankers einzutauschen, so dass er gezwungen ist, von einer Bank zur anderen zu fahren, um die Restsumme in jeweils kleineren Beträgen unterhalb der Meldegrenze zu wechseln.
Bei einem weiteren Treffen mit kolumbianischen Kokaindealern in Amsterdam erhält Miehling das Angebot einer gewissen Partnerschaft. Er soll Lieferungen in Europa überwachen und gleichzeitig die Transportwege für eigene Lieferungen nutzen können. Von Curacao, anlässlich einer weiteren Schmuggelreise mit diesmal zehn Kurieren und 300.000 Dollar in bar, fliegt er erneut nach Kolumbien. Hier erhält Miehling das Angebot, für 10 Prozent Provision Bargeld zu schmuggeln und als Partner beim Ausprobieren neuer Transportwege nach Polen behilflich zu sein.
Zurück in Hamburg überkommt Miehling das Gefühl beschattet zu werden. Über einen befreundeten Polizeireporter besorgt er sich die nötige Ausrüstung, um den Polizeifunk und die von der Polizei genutzten C-Netz-Funktelefone abzuhören, und muss feststellen, dass er tatsächlich observiert wird. Probleme ergeben sich aber noch von anderer Seite. Werner ist zu einem Junkie geworden, und er hat damit begonnen, auf eigene Rechnung hinter Miehlings Rücken Lieferungen von Kim zu verkaufen. Miehling schlägt ein Angebot seiner kolumbianischen Geschäftspartner aus, das Problem mit Hilfe eines "Reinigungstrupps zum Saubermachen" erledigen zu lassen. Stattdessen trennt er sich von Werner, der, abgeschnitten von Miehlings Kontakten, auf der Suche nach Nachschub mit 200.000 DM nach Holland fährt und dort von vorgeblichen Lieferanten ausgeraubt wird.
Unterdessen ist die erste Lieferung in Polen angekommen und durch die Zollkontrollen geschleust worden. Miehling fährt nach Danzig, um das Kokain in Empfang zu nehmen. Die Polen, die das Kokain verwahren, weigern sich jedoch zunächst, es herauszugeben, so dass der ursprüngliche Plan für das Einschmuggeln nach Deutschland nicht mehr einzuhalten ist. Stattdessen müssen Miehling sowie zwei von Kim ausgewählte Helfer das Kokain im Auto nach Stettin bringen und dort in einer Hotelgarage zwischenlagern. Dank Telefonüberwachung und der Undiszipliniertheit der beiden Helfer gelingt es der Polizei, das Kokain zu beschlagnahmen und die Beteiligten, mit Ausnahme Miehlings, festzunehmen. Miehling selbst kann fliehen. Er setzt sich nach einer Weile nach Kolumbien ab, von wo aus er ohne großen Erfolg versucht, im Geschäft zu bleiben.
Zielfahnder des BKA machen ihn ausfindig, aber erst durch eine erneute Nachlässigkeit am Telefon gelingt es schließlich, Miehling in Venezuela zu verhaften. An Deutschland ausgeliefert wird er 1996 zu einer Haftstrafe von zwölfeinhalb Jahren verurteilt.

Beurteilung:
Die von Ronald Miehling mit Helge Timmerberg als Co-Autor geschriebene Autobiografie ist der bislang ausführlichste Insiderbericht über den Drogenhandel in Deutschland. Das Buch enthält eine Reihe interessanter Details und vermittelt ein atmosphärisch dichtes Bild der Welt, in der sich Drogenhändler bewegen. Dreh- und Angelpunkt der Darstellung ist die Selbsteinschätzung Miehlings als eines zuverlässigen, bei Frauen, vorzugsweise Prostituierten, überaus erfolgreichen, letztlich an der Unfähigkeit seiner Geschäftspartner und seiner eigenen Gutmütigkeit gescheiterten illegalen Unternehmers.
Aus wissenschaftlicher Sicht ist an Miehlings Geschichte insbesondere bewerkenswert, wie stark seine Karriere davon abhing, dass sich aus bestehenden Kontakten immer neue Beziehungen zu noch potenteren Kokainlieferanten herausbildeten. Es handelt sich geradezu um ein lehrbuchhaftes Beispiel für die Dynamik krimineller Netzwerke.
Etwas störend ist das weitgehende Fehlen von Zeitangaben, so dass nicht genau nachvollzogen werden kann, in welchen Zeiträumen sich die geschilderten Ereignisse abgespielt haben. Wie es scheint war Miehlings Glück als "Drogenboss" eher nur von kurzer Dauer.

Gesamtbewertung:
Miehlings Autobiografie ist die deutsche Antwort auf Howard Marks' "Mr. Nice". Wenngleich sein Leben nicht ganz so schillernd und komplex ist wie das des legendären britischen Haschisch-Schmugglers, ist das Buch doch eine wichtige Informationsquelle, die bei der Aufarbeitung des Drogenhandels in Deutschland nicht übersehen werden darf.


Weiterführende Literatur
Marks, Howard, Mr. Nice: Autobiographie, Grow!-Publishing, 2001 (siehe englischsprachige Rezension)
Paul, Bettina, und Henning Schmidt-Semisch (Hrsg.), Drogendealer: Ansichten eines verrufenen Gewerbes, Freiburg: Lambertus, 1998


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