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Der Oligarch: Vadim Rabinovich bricht das Schweigen
Jürgen Roth
Hamburg/Wien: Europa Verlag, 2001
299 S.
Gegenstand, Methodik, Datengrundlage:
Eine Biographie des ukrainischen Unternehmers Vadim Rabinovich, gestützt auf ausführliche Interviews mit Rabinovich, die in direkter Rede wiedergegeben werden, angereichert mit Anmerkungen des Autors.
Zum Inhalt:
Vadim Rabinovich wird 1953 als Sohn eines Offiziers und einer Ärztin in Charkow geboren. Sein Leben in der Sowjetunion ist geprägt von den Überlebensstrategien in der Mangelwirtschaft, den Schranken, die das System persönlicher Initiative auferlegt, und dem Antisemitismus, der Juden bestimmte Karrierepfade versperrt. Mal ist Rabinovich oben auf, wenn er seine Talente systemtreu für gesellschaftliche Aktivitäten oder systemkonform für die Beschaffung knapper Materialien einsetzt, mal bekommt er die Härte des Systems zu spüren. Beim Militär, als Materialwirtschafter seines Regiments, erhält er tiefe Einblicke in die sowjetische Schattenwirtschaft. Wieder im zivilen Leben, als Meister in einer Baubrigade, bringt ihm der Handel mit seltenen Baumaterialien den ersten Reichtum, aber auch die erste Inhaftierung. Unter dem Vorwurf des Amtsmissbrauchs und der Veruntreuung von Staatsvermögen kommt er 1980 ins Gefängnis. Dank Querelen innerhalb der Staatsanwaltschaft wird er zunächst jedoch wieder entlassen. Rabinovich taucht unter und ernährt sich von unternehmerischen Tätigkeiten, der Herstellung und dem Vertrieb von Kristallglas und Kalendern. Dann wird er wieder verhaftet, durchläuft Psychiatrie und Gefängnis, wird 1984 zu 14 Jahren Arbeitslager verurteilt. Im Arbeitslager gelingt es Rabinovich, sich Respekt sowohl bei den übrigen Lagerinsassen als auch bei der Lagerleitung zu verschaffen und das Lagerleben zu organisieren. "Hier," so Roth, "werden erstmals Strukturen deutlich, die bis heute prägend für Vadim Rabinovich sind: seine Funktion als eine Art Brücke zwischen kriminellen Autoritäten und den legalen Machthabern" (S. 125).
Erst 1991 kommt Rabinovich wieder frei. Sofort versucht er, als Unternehmer Fuß zu fassen. Nach mehreren gescheiterten Anläufen in verschiedenen Branchen gelingt ihm der Durchbruch im Handel mit Metallen. Aus diesem Geschäft zieht sich Rabinovich 1992 zurück. Wie er sagt, sei es unbequem geworden, da viele Fabriken von kriminellen Gruppen aufgekauft oder erpresst worden seien.
In den Folgejahren ist Rabinovich für das unter Geldwäsche-Verdacht stehende Unternehmen Nordex tätig. Er vermittelt russische Erdöllieferungen an die Ukraine im Austausch gegen andere Waren. 1995 trennt er sich von Nordex und gründet eine Unternehmensberatungs- und Projektentwicklungsfirma, die westlichen Unternehmen den Zugang zu den osteuropäischen Märkten erleichtern soll. Gleichzeitig steigt er in das Mediengeschäft ein.
Seinen schlechten Ruf, dort, wo er ihn hat, verdankt Rabinovich seinen geschäftlichen und privaten Kontakten zu dubiosen Geschäftsleuten und Kriminellen. Rabinovich sieht sich zu Unrecht beschuldigt und als ein Opfer von Verleumdungskampagnen und unfähigen Journalisten. Seine Lage erklärt er so: "Schauen Sie bitte, in welcher Situation ich mich befinde. Verstehen Sie doch endlich einmal, um was es wirklich geht. Auf der einen Schulter hocken der amerikanische und der ukrainische Sicherheitsdienst sowie wirtschaftliche Konkurrenten. Auf der anderen Schulter gibt es eine Menge Banditen, Kriminelle. Ich muss versuchen, mich mit beiden Seiten zu arrangieren, um meine Geschäfte machen, letztlich am Leben bleiben zu können. Damit mir das gelingt, muss ich Beziehungen zu all diesen Kräften haben, ob es mir passt oder nicht" (S. 239).
Beurteilung:
Jürgen Roth ist bekannt als Autor reißerischer Bücher. "Der Oligarch" gehört nicht dazu. Die Erzählungen Rabinovichs, so scheint es, haben Roth dazu verholfen, sich ein Stück weit von den gängigen Klischees und Schablonen zu lösen, die die journalistische Behandlung des Themas Russen-Mafia und Abenteuer-Kapitalismus in Osteuropa kennzeichnen. Auch wenn Rabinovich nicht alles offenbart was er weiß und vieles nebulös bleibt, so entsteht doch in seinen Berichten ein viel plastischeres und plausibleres Bild von den Verhältnissen in der ehemaligen Sowjetunion als es die dem Bild der Russen-Mafia verpflichteten Darstellungen zu leisten vermögen. Tragendes Prinzip sind persönliche Beziehungen zwischen Unternehmern, die in rechtlichen Grauzonen und Freiräumen agieren und dabei mal auf die Hilfe gewaltbereiter Banden, mal auf die Unterstützung staatlicher Stellen zurückgreifen, um ihre Profitinteressen zu verfolgen.
Roths Fazit: Rabinovich ist eine facettenreiche Figur, ein großzügiger Mäzen der in der Ukraine lebenden Juden, ein gnadenloser Abzocker, ein zutiefst von sich überzeugter und erfolgreicher Kapitalist, aber einer, der sich des Zwiespalts zwischen Profitstreben und der sozialen Verpflichtung gegenüber den Armen in der Gesellschaft bewusst ist. Nur eines, so Roth, ist er nicht, ein mächtiger Pate, ein ukrainischer Capo di tutti Capi.
Gesamtbewertung:
Ein enorm wichtiges Buch zum Verständnis der Verflechtung von Politik, Wirtschaft und Kriminalität in der ehemaligen Sowjetunion. Die subjektive Perspektive Rabinovichs, auch wenn die ganze Wahrheit nicht ans Tageslicht kommt, gewährt völlig neue Einblicke und relativiert und widerlegt gleichzeitig viele gängige Klischees.
Weiterführende Literatur
Hoffman, David E., The Oligarchs: Wealth and Power in the New Russia, New York: PublicAffairs, 2002
Klebnikov, Paul, Godfather of the Kremlin: The Decline of Russia in the Age of Gangster Capitalism, New York: Harcourt, 2000
© Klaus von Lampe, alle Rechte vorbehalten.
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