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Organisierte Kriminalität
Vortrag vor der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristinnen und Juristen, Landesverband Berlin, 5. Dezember 2000, von Klaus von Lampe. (Eine überarbeitete und erweiterte Fassung dieses Vortrags ist in Heft 7/2001 der Zeitschrift "Kriminalistik" unter dem Titel "Organisierte Kriminalität unter der Lupe: Netzwerke kriminell nutzbarer Kontakte als konzeptueller Zugang zur OK-Problematik" veröffentlicht.) Um den Vortragstext als PDF-Datei aufzurufen, hier klicken Einleitung Wer sich mit Kriminalpolitik beschäftigt, stößt unweigerlich auf die Frage, was sich hinter dem zunächst einmal recht ominösen Begriff "organisierte Kriminalität" verbirgt. So allgegenwärtig die Warnungen vor der Bedrohung unserer Gesellschaft durch die organisierte Kriminalität sind und so dringend immer neue Bekämpfungsinstrumente gefordert werden, so unklar und verwirrend bleibt doch, was damit eigentlich gemeint ist. Mit diesem Vortrag möchte ich versuchen systematisch zu ordnen, was über organisierte Kriminalität gesagt, geschrieben und erforscht worden ist und was es damit im einzelnen auf sich hat. Der Begriff "organisierte Kriminalität" Friedrich Nietzsche hat in seiner Genealogie der Moral den klugen Satz aufgestellt, dass man nur Begriffe definieren kann, die keine Geschichte haben. Auf den Begriff "organisierte Kriminalität" trifft das sehr genau zu. Der Begriff "organisierte Kriminalität" ist jetzt mehr als 80 Jahre alt. Erstmals geprägt wurde er in den USA, wo man in Chicago im Jahre 1919 begann, von "organized crime" zu sprechen (von Lampe 1999, S. 26). Seitdem hat er eine wechselvolle Entwicklung durchlaufen, in den vergangenen rd. 35 Jahren auch in Deutschland. In dieser Zeit hat sich seine Bedeutung beständig gewandelt. Je nachdem, welche Ausschnitte der gesellschaftlichen Wirklichkeit man betrachtet, mit welcher Perspektive, mit welchem Vorverständnis und mit welchen Interessen, gelangt man zu ganz unterschiedlichen Auffassungen darüber, was organisierte Kriminalität ist. Das hat mit der begrenzten Fähigkeit des Menschen zu tun, seine Umwelt wahrzunehmen, und damit, dass sich organisierte Kriminalität dem Betrachter nicht von selbst als in sich zusammenhängendes und klar abgrenzbares Phänomen aufdrängt. Sieht man sich die Diskussion über organisierte Kriminalität in ihrer Gesamtheit an, also das, was in den Medien, in polizeilichen und kriminologischen Fachpublikationen und in politischen Verlautbarungen gesagt und geschrieben worden ist, so stößt man auf drei verschiedene Grundverständnisse vom Wesenskern organisierter Kriminalität. Nach einer Auffassung muss die Betonung auf "Kriminalität" gelegt werden. Danach ist organisierte Kriminalität eine besondere Kategorie strafbarer Handlungen, namentlich das Anbieten illegaler Güter und Dienstleistungen. Nach einer anderen Auffassung kommt es nicht so sehr auf die Art und Weise illegaler Aktivitäten an, ob es sich also im einzelnen um das Angebot illegaler Waren handelt oder um Betrügereien, Diebstahl und Raub, sondern darauf, dass Kriminelle sich zu Organisationen zusammengeschlossen haben. Danach soll die Betonung auf "organisiert" liegen. Eine dritte Sichtweise kümmert sich weder um die kriminellen Aktivitäten, noch den Grad der Organisiertheit von Straftätern, sondern um die Verflechtung legaler und illegaler Strukturen. Von organisierter Kriminalität soll nur die Rede sein, wenn Kriminelle und Inhaber von Positionen innerhalb der legalen Institutionen der Gesellschaft miteinander in einem korrupten System verwoben sind. Die offizielle Definition entscheidet sich übrigens im Kern für einen handlungsorientierten Ansatz. "Organisierte Kriminalität", heisst es da, "ist (...) die planmäßige Begehung von Straftaten", vorausgesetzt sie sind von "erheblicher Bedeutung" und einige weitere Bedingungen sind erfüllt. Dazu gehören mindestens drei Täter, die auf Dauer arbeitsteilig zusammenwirken, die bestimmte Ziele verfolgen (Gewinn oder Macht) und bestimmte Mittel einsetzen, z.B. Gewalt oder Einflussnahme auf Staat und Wirtschaft. In voller Länge lautet die amtliche Definition die wie folgt: "Organisierte Kriminalität ist die von Gewinn- oder Machtstreben bestimmte planmäßige Begehung von Straftaten, die einzeln oder in ihrer Gesamtheit von erheblicher Bedeutung sind, wenn mehr als zwei Beteiligte auf längere oder unbestimmte Dauer arbeitsteilig a) unter Verwendung gewerblicher oder geschäftsähnlicher Strukturen, b) unter Anwendung von Gewalt oder anderer zur Einschüchterung geeigneter Mittel oder c) unter Anwendung von Einflussnahme auf Politik, Medien, öffentliche Verwaltung, Justiz oder Wirtschaft zusammenwirken." Zufriedenstellen kann auch diese Definition nicht, die wegen ihrer vielen Alternativen im übrigen gar keine Definition im eigentlichen Sinne des Wortes ist. Es fehlt schlicht an allgemein akzeptierten Kriterien und Maßstäben, anhand derer die Frage nach dem Wesen oder Grundcharakter organisierter Kriminalität beantwortet werden könnte. Um auf Nietzsche zurückzukommen, organisierte Kriminalität kann man nicht definieren. Man kann lediglich sagen, was so alles damit assoziiert wird, und man kann versuchen, halbwegs Ordnung in das Durcheinander zu bringen. Netzwerke kriminell nutzbarer Kontakte Ein erster Schritt zu größerer Klarheit ist geschafft, wenn man sich vergegenwärtigt, dass, egal, was man unter organisierter Kriminalität versteht, man es immer mit Netzwerken kriminell nutzbarer Kontakte zu tun hat. Gleichgültig, ob man über die sizilianische Mafia, chinesische Triaden, kolumbianische Drogenkartelle, eine Einbrecherbande oder korrupte Verbindungen zwischen Geschäftsleuten und Politikern spricht, immer geht es darum, dass Personen in einer Beziehung zueinander stehen, die es ihnen erlaubt, bei illegalen Machenschaften zusammenzuwirken. Abb. 1 Die Grundkonstellation sieht wie folgt aus (Abb. 1): Zwei Personen haben die gleichen kriminellen Dispositionen, d.h. sie sind grundsätzlich bereit, sich an bestimmten kriminellen Aktivitäten zu beteiligen, z.B. am Handel mit Drogen oder dem Austausch von Kinderpornographie oder der Initiierung eines Kapitalanlagebetrugs. Woher diese Dispositionen kommen, ist eine Frage, über die sich die Kriminologen seit jeher die Köpfe zerbrechen. Bei der Betrachtung krimineller Netzwerke ist zunächst einmal nur entscheidend, dass sich Menschen zusammenfinden, die sozusagen die gleichen kriminellen Interessen haben. Daran kann es z.B. fehlen, wenn ein Drogenhändler und ein Vertreiber von Kinderpornographie aufeinander treffen. Beide werden vielleicht vom jeweils anderen sagen, mit so was will ich nichts zu tun haben. Haben sich nun zwei Personen mit den passenden kriminellen Dispositionen gefunden, z.B. zwei Drogenhändler, so ist es höchst unwahrscheinlich, dass sie ohne weiteres miteinander kooperieren, denn ein solches Zusammenwirken, ohne dass man viel vom anderen weiß, birgt erhebliche Risiken. Zum einen ist da das Problem der Strafverfolgung: Handelt es sich bei dem anderen vielleicht um einen Spitzel, einen verdeckten Ermittler, einen Weichling, der im ersten Polizeiverhör zusammenbricht? Ein anderes Risiko besteht in der Gefahr, übers Ohr gehauen zu werden: Ist der andere ehrlich oder ein Betrüger? Will er tatsächlich Drogen verkaufen, oder wartet er nur darauf, mich auszurauben? Solche Fragen muss sich ein Krimineller bei der Knüpfung neuer Kontakte stellen, denn er hat für den Fall, dass etwas schief geht, nicht die Möglichkeit, z.B. bei Gericht auf Erfüllung eines Drogenkaufvertrags zu klagen. Daher kann man im Zweifel davon ausgehen, dass eine kriminelle Kooperation auf der Grundlage einer bestehenden Vertrauensbeziehung erfolgt und dass diese Vertrauensbeziehung stabiler ist bzw. sein muss, je riskanter die kriminellen Aktivitäten sind, um die es geht. Generell scheint es so zu sein, dass verwandtschaftliche Beziehungen die sicherste Vertrauensbasis bilden, gefolgt von Freundschaftsbeziehungen von Jugend an und gemeinsamer Gefängniszeit. Netzwerke und Organisationen Netzwerke kriminell nutzbarer Kontakte können je nach den Umständen eine große Ausdehnung erreichen und ermöglichen die Bewältigung auch komplizierter und aufwendiger Vorhaben, ohne dass darüber hinausgehende organisationsartige Strukturen erforderlich wären. Deshalb kann man in vielen Fällen, in denen mit einigem Pathos von "streng hierarchischen", "hoch professionell strukturierten" kriminellen Organisationen die Rede ist, davon ausgehen, dass es sich bei näherem Hinsehen doch nur um netzwerkartige Beziehungsgeflechte handelt. Die Unterscheidung von Netzwerken und Organisationen ist ein wichtiger Aspekt bei der Analyse krimineller Strukturen. Ein Netzwerk ist ein Geflecht aus gleichartigen zweipoligen Beziehungen zwischen zwei oder mehr Personen. Eine Organisation zeichnet sich demgegenüber durch ein Mindestmaß an Integration aus, d.h. die Beteiligten ordnen sich einem kollektiven Willen unter, es besteht ein Kollektivbewusstsein und eine mehr oder weniger ausdifferenzierte Struktur, die mit Begriffen wie "Arbeitsteilung" und "Hierarchie" umschrieben wird. Kurz gesagt: Ein Netzwerk besteht aus der Summe seiner Teile, eine Organisation ist mehr als das. Dabei ist wichtig anzumerken, dass sich beide Strukturformen gegenseitig nicht ausschließen. Ein Netzwerk kann Grundlage einer Organisation sein, innerhalb einer Organisation können verschiedene Netzwerke bestehen, Netzwerke können auch Organisationen transzendieren, d.h. die Organisation mit ihrer Umwelt verbinden. Umgekehrt ist es allerdings nicht denkbar, dass eine Organisation ohne ein soziales Netzwerk existiert, weil man die Beziehungen der Organisationsmitglieder untereinander auch als Netzwerk definieren kann. Die Unterscheidung zwischen Netzwerken und Organisationen soll an einem Beispiel illustriert werden: Abb. 2 Das abgebildete Netzwerk besteht aus acht Mitgliedern. Nehmen wir an, es handelt sich um ein kriminelles Netzwerk im Bereich der Verschiebung gestohlener Kraftfahrzeuge. D und F könnten Autodiebe sein, die die gestohlenen Autos an A verkaufen. Dieser lässt die Fahrzeuge in der Werkstatt von C, G und H umfrisieren, zum Beispiel durch das Fälschen der Fahrzeugidentifikationsnummer, die Reparatur der beim Diebstahl zerstörten Lenkradsperre und eine Neulackierung. Die umfrisierten Autos setzt A dann über B und E ab. Wenn man nun nur diese acht Personen betrachtet und beobachtet wie ein Fahrzeug nach dem anderen den beschriebenen Weg nimmt, kann man schnell zu dem Schluss kommen, dass es sich um ein gut funktionierendes illegales Unternehmen handelt, das ganz so funktioniert wie ein legales Unternehmen. Man kommt dann zu einem solchen Organigramm: Abb. 3 A, die Schlüsselfigur, ist in diesem Schaubild der Boss eines arbeitsteilig strukturierten Unternehmens mit einer Beschaffungsabteilung (D und F), einer Produktionsabteilung (C, G und H) und einer Marketingabteilung (B und E). Damit dieses Bild stimmt, müssten aber bestimmte Voraussetzungen vorliegen. Z.B. müsste A gegenüber den einzelnen "Abteilungen" weisungsbefugt sein. Das wird im Zweifel nicht der Fall sein, denn Weisungsbefugnisse implizieren einen hohen Kontroll- und Kommunikationsaufwand. Damit würde das Strafverfolgungsrisiko für A, wie auch für die übrigen Beteiligten, erhöht werden. Risikoärmer ist es, kriminelle Beziehungen einfach und flexibel zu gestalten. Sie ähneln dann vertragsartigen Geschäftsbeziehungen mehr als unternehmensinternen Über- und Unterordnungsverhältnissen. So mag A dem D zwar sagen, er solle nur Autos einer bestimmten Marke liefern, weil diese am besten abzusetzen seien. D ist dann aber in seiner Entscheidung frei, unter dieser Bedingung weiter Geschäfte mit A zu machen oder nicht. Noch stärker wird sich im Zweifel das Bild relativieren, wenn man das Netzwerk in einem größeren Rahmen betrachtet. So ist es denkbar, dass alle Beteiligten noch mit anderen Personen kooperieren, also D gestohlene Autos noch an einen X verkauft, C, G und H nicht nur für A, sondern auch für Y Autos frisieren und B und E zusätzlich bei Z gestohlene Fahrzeuge beziehen. Kriminelle Organisationen Ungeachtet dieser Vorbehalte gibt es kriminelle Organisationen, auf die diese Bezeichnung zutrifft. Allerdings sind nicht alle kriminellen Organisationen gleich. Mindestens zwei analytische Dimensionen sollten hier unterschieden werden, zum einen die unterschiedlichen Funktionen, die kriminelle Organisationen erfüllen, zum anderen deren strukturelle Komplexität. Kriminelle Organisationen können ökonomische Funktionen erfüllen, d.h. sie sind in ihrer Struktur auf Gewinnerzielung ausgerichtet. Dazu gehören Einbrecherbanden ebenso wie Betrugsunternehmen oder illegale Spielkasinos. Nicht in diese Kategorien gehören Organisationen wie etwa die Cosa Nostra in den USA (von Lampe 1999), die Vory v sakonje ("Diebe im Gesetz") in Russland (Finckenauer/Waring 1998) oder chinesische Triaden (Chin 1990). Deren Struktur ist nicht direkt auf unternehmensartige Aktivitäten ausgerichtet, sondern darauf, die illegalen Aktivitäten ihrer Mitglieder zu fördern und zu unterstützen. Sie erfüllen also keine ökonomischen, sondern eher soziale Funktionen. Dazu gehören die Schaffung eines Zusammengehörigkeitsgefühls verbunden mit gegenseitiger Hilfeleistung, die Verleihung eines besonderen Status innerhalb des kriminellen Milieus, die Vermittlung einer Ideologie, mit der illegale Verhaltensweisen gerechtfertigt werden und die Bereitstellung eines Rahmens für den Austausch von Informationen. Daneben können kriminelle Organisationen quasi-staatliche Funktionen wahrnehmen, z.B. indem sie bestimmte Normen setzen und durchsetzen und im Gegenzug Steuern auf illegale Aktivitäten erheben. Die Cosa Nostra in den USA hat lange Zeit eine solche Funktion in den von ihr beherrschten Milieus erfüllt. Im Falle von Streitigkeiten zwischen zwei illegalen Unternehmern stellte sie beispielsweise einen dem Zivilprozess entsprechenden Konfliktschlichtungsmechanismus zur Verfügung. Auf der Grundlage von informellen oder explizit aufgestellten Regeln wurde über das Bestehen oder Nichtbestehen von Ansprüchen entschieden und diese Entscheidungen notfalls mit Gewalt durchgesetzt, was insgesamt die Gefahr gewalttätiger Konfliktaustragung und damit die Gefahr erhöhten Strafverfolgungsdrucks wesentlich verminderte. Dies kam allen illegalen Unternehmern zugute, die im Gegenzug einen Teil Ihrer Erträge an jeweils das Cosa-Nostra-Mitglied abführen mussten, unter dessen persönlichen Schutz sie sich gestellt haben. Es ist wichtig festzuhalten, dass kriminelle Organisationen der Erfüllung mehrerer Funktionen dienen können. Allerdings ist es aufgrund der jeweils unterschiedlichen Anforderungen an die Struktur eher unwahrscheinlich, dass sie sowohl unternehmerischen als auch quasi-staatlichen Zwecken dienen. Neben ihrer funktionalen Ausrichtung unterscheiden sich kriminelle Organisationen im Grad der Komplexität ihrer Strukturen. Komplex ist eine Organisation, wenn sie horizontal, d.h. arbeitsteilig, und vertikal, d.h. hierarchisch, gegliedert ist und über eine relativ große räumliche Ausdehnung verfügt. Abb. 4: Struktur einer Cosa-Nostra-Familie Komplexe kriminelle Organisationen sind nicht so häufig, wie das manchmal den Anschein hat. Die Cosa Nostra z.B., die vielfach als eine der höchstentwickelten kriminellen Organisationen angesehen wird, ist zwar vertikal strukturiert, aber nicht arbeitsteilig, weil es keine besondere Rollenaufteilung etwa für die Schlichtung von Konflikten gibt. Andere Organisationen sind zwar arbeitsteilig, nicht aber hierarchisch strukturiert, z.B. im Fall einer Einbrecherbande ohne klaren Anführer, bei der einer Schmiere steht, einer das Schloss überwindet und einer für die Auswahl des Diebesgutes zuständig ist. Ein Beispiel für eine recht komplexe Organisation sind z.B. die von Rumänien aus operierenden Einbrecherbanden, die serienmäßig mit Brachialgewalt Tresore aus der Verankerung reißen und diese dann nach dem Abtransport in entlegenen Gegenden aufbrechen. Hier wird von einer klaren Arbeitsteilung zwischen Einbrechern, Transporteuren und Tresorknackern berichtet, die in eine militär-ähnliche Hierarchie eingebunden sind (Ziegler 1998, S. 133f.). Komplexe kriminelle Organisationen sind deshalb eher selten, weil derartige Strukturen für die Verwirklichung krimineller Vorhaben nicht immer erforderlich sind, dafür aber das Entdeckungsrisiko erhöhen. Komplexe Strukturen sind nur zu erwarten, wo sie technisch bedingt sind, z.B. bei der Herstellung bestimmter Drogen, dort wo, wie im Fall rumänischer Einbrecherbanden, die Operationsbasis vor Strafverfolgung relativ sicher ist, etwa weil sie im Ausland liegt, oder im Fall halblegaler Strukturen, bei denen kriminelle Aktivitäten hinter einer legalen Fassade abgewickelt werden, z.B. illegale Glücksspiele in einem konzessionierten Spielkasino (Sieber/Bögel 1993, S. 245). Kriminelle Monopole Häufig wird gesagt, ein Charakteristikum organisierter Kriminalität sei das Bemühen um die Errichtung krimineller Monopole. Damit wird die Betrachtung von der Stufe einzelner krimineller Netzwerke und Organisationen auf die Stufe ganzer illegaler Märkte bzw. krimineller Milieus gehoben. Auch hier gilt es, genauer hinzusehen und voreilige Schlüsse zu vermeiden. Zunächst muss zwischen zwei Arten krimineller Monopole unterschieden werden, zum einen die Beherrschung eines illegalen Marktes durch ein einziges Unternehmen bzw. mehrere kartellartig verbundene Unternehmen, zum anderen die zentrale Abschöpfung von Erträgen illegaler Unternehmen durch eine über ein Gewaltmonopol verfügende Schutzgelderpresserbande. Abb. 5: Grundformen illegaler Monopole Dass illegale Unternehmer bestrebt sind, Konkurrenz aus dem Weg zu räumen, ist auf den ersten Blick einleuchtend, entspricht dies doch der Interessenlage, wie sie auch in legalen Märkten vorherrscht. Im Bereich der Illegalität ergeben sich aber einige Vorbehalte, die die Entstehung von Monopolen eher unwahrscheinlich und aus der Sicht der illegalen Unternehmer auch nicht unbedingt erstrebenswert erscheinen lassen. Der Anreiz für die Errichtung eines Monopols liegt in der Möglichkeit, Monopolprofite zu erzielen. Dieser Anreiz ist für illegale Unternehmer geringer, da die Profitmargen in illegalen Märkten ohnehin regelmäßig hoch sind. Hinzu kommt, dass in illegalen Märkten die Nachfrage häufig das Angebot übersteigt, in der Regel also "genug für alle" da ist. Schließlich wird eine Monopolstellung auch eine komplexere Organisationsstruktur erfordern, was wiederum das Strafverfolgungsrisiko erhöht. Wenn ein illegaler Unternehmer trotz alledem eine Monopolstellung anstrebt und Konkurrenten von seinem Markt fernhalten will, dann wird er im Zweifel darauf angewiesen sein, dies mit Gewalt durchzusetzen, da ihm andere Instrumente, wie z.B. Patentrechte, nicht zur Verfügung stehen. Er muss also ein Gewaltpotential ansammeln, das dem seiner Konkurrenten überlegen ist, und es dann möglichst unauffällig zum Einsatz bringen. Dabei wird er auf ein weiteres Problem stoßen, das der geringen Transparenz illegaler Märkte. Es ist angesichts konspirativer Verhaltensweisen keineswegs selbstverständlich, dass ein illegaler Unternehmer weiß, wer neben ihm sonst noch im Geschäft ist, und erst recht nicht, über welches Gewaltpotential seine Konkurrenten ihrerseits verfügen. Der Versuch, ein Monopol zu errichten, kann also leicht zu einem unkalkulierbaren Risiko werden. Ist es gleichwohl gelungen, die Konkurrenz auszuschalten, und dies ohne die Aufmerksamkeit der Strafverfolgungsbehörden auf sich zu ziehen, bleibt immer noch die Frage, ob man ohne weiteres an die Stelle der aus dem Weg geräumten Konkurrenten treten kann, fehlt es doch im Zweifel an der notwendigen Vertrauensbasis zu deren Geschäftspartnern bzw. Kunden. Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen verwundert es nicht, wenn viele gewalttätige Auseinandersetzungen unter Kriminellen, die in den Medien schnell als Konkurrenzkämpfe interpretiert werden, bei näherem Hinsehen einen ganz anderen, nicht selten viel banaleren Hintergrund haben: neben Konflikten innerhalb krimineller Organisationen bzw. zwischen Geschäftspartnern auch private Streitigkeiten, bei denen es um Eifersucht oder um "Respekt" und "Ehre" geht, also um all die Dinge, die das männliche Gemüt in Rage bringen können. In den Fällen schließlich, in denen es tatsächlich zu Gewalttätigkeiten zwischen Konkurrenten kommt, und davon wird berichtet, wenn neue Anbieter von außen in einen lokalen Markt drängen, dürfte es nicht so sehr um die Verteidigung eines Monopols gehen, sondern um die Erhaltung eines bestehenden Gleichgewichts bzw. berechenbarer Rahmenbedingungen (Rebscher/Vahlenkamp 1988, S. 104-108). Etwas anders stellt sich die Lage im Hinblick auf kriminelle Gewaltmonopole dar. Im Kern handelt es sich dabei um die Erpressung illegaler Unternehmer. Schutzgelderpressung funktioniert auf Dauer nur, wenn sich der Erpresste sicher sein kann, mit der Zahlung an eine Schutzgelderpresserbande das Erpressungsrisiko insgesamt abgedeckt zu haben. Die Errichtung eines Monopols ist hier also eine unabdingbare Grundvoraussetzung. Andererseits kommt auch in diesem Zusammenhang das Problem der Transparenz zum Tragen, zum einen hinsichtlich der Möglichkeit, die Stärke potentieller Konkurrenten einzuschätzen. Zum anderen sind Schutzgelderpressungen nur dort möglich, wo illegale Unternehmer offen erkennbar und leicht kontrollierbar sind. Das ist zum Beispiel bei den Straßenverkäufern unversteuerter Zigaretten der Fall, die ortsfest operieren. Das bedeutet zugleich, dass illegale Gewaltmonopole nur in bestimmten Märkten oder auf bestimmten Marktebenen wahrscheinlich sind. Schließlich müssen Schutzgelderpresserbanden für ihre Opfer unverwechselbar sein, um Trittbrettfahrern vorzubeugen. Dies wiederum erhöht ihre Sichtbarkeit und damit die Anfälligkeit gegenüber Strafverfolgungsmaßnahmen. Langfristig, und dies bestätigen insgesamt die historischen Erfahrungen, ist also weniger mit einer immer stärkeren Machtkonzentration auf immer größerem Raum in der Hand einer einzelnen kriminellen Gruppierung zu rechnen, sondern allenfalls mit räumlich eng begrenzten illegalen Monopolen. In größerem Rahmen wird es regelmäßig zur Anwendung von Konfliktvermeidungsstrategien kommen, etwa in der Form von Territorialabsprachen. Die Alternative hierzu wären gewalttätige Auseinandersetzungen, die beinahe unausweichlich, angetrieben von den Medien, massive Reaktionen des Staates provozieren, wie etwa die blutigen Fehden zwischen vietnamesischen Schutzgelderpresserbanden Mitte der 90er Jahre in Berlin gezeigt haben, die einen massiven Einsatz von Polizei und Zoll heraufbeschworen und im Ergebnis sowohl zur Zerschlagung der sich bekriegenden Schutzgelderpresserbanden, als auch zu einer empfindlichen Störung des illegalen Straßenhandels mit Zigaretten führten. Die gesellschaftliche Einbindung krimineller Netzwerke Die Lehre, die man aus der näheren Beschäftigung mit kriminellen Strukturen ziehen muss, ist, dass sich die Dinge wesentlich komplizierter und durchaus auch anders gestalten, als dies in den Medien mit klischeehaften Vorstellungsbildern von komplexen "Mafia-Syndikaten" vermittelt wird. Das gleiche gilt für die Frage des Verhältnisses von organisierter Kriminalität und Gesellschaft. Folgt man der gängigen Rhetorik, so stehen sich organisierte Kriminalität und Gesellschaft in einem unversöhnlichen Konflikt gegenüber: "Die" organisierte Kriminalität bedroht den Bestand des Staates und der Gesellschaftsordnung insgesamt, indem sie die legale Wirtschaft unterwandert und Politik und Verwaltung korrumpiert. Diese Sichtweise ist keineswegs zwingend. Kehrt man zurück zu der Annahme, dass es bei organisierter Kriminalität im Kern um Netzwerke kriminell nutzbarer Kontakte geht, ergibt sich ein differenzierteres Bild. In dem nachfolgenden Schaubild sollen vier verschiedene Konstellationen der gesellschaftlichen Verankerung krimineller Netzwerke dargestellt werden: Abb. 6: Grundkonstellationen der gesellschaftlichen Integration krimineller Netzwerke Der Darstellung liegt ein sehr grobes Schema zugrunde, mit dem die Gesellschaft in maximal drei Sphären eingeteilt wird, bestehend aus den gesellschaftlichen Eliten, die die wichtigen Positionen in Staat, Wirtschaft und Medien innehaben, einer Mittelschicht und einer hiervon abgegrenzten Subkultur. Im ersten Fall ist das abgebildete kriminelle Netzwerk mit einer homogenen, feindlichen Umwelt konfrontiert, wie es wohl für die bereits erwähnten, von Rumänien aus operierenden Einbrecherbanden kennzeichnend ist. Der zweite Fall steht für die Einbettung krimineller Netzwerke in eine Subkultur, etwa das Rotlichtmilieu oder eine marginalisierte ethnische Minderheit. Im dritten Fall haben wir es mit einer homogenen, von kriminellen Netzwerken durchzogenen Gesellschaft zu tun. Das trifft auf alle illegalen Kooperationsbeziehungen zu, an denen nach ihrem äußeren Erscheinungsbild sozial unauffällige Personen beteiligt sind, so etwa Unternehmer und Banker, die Kapitalanlagebetrügereien initiieren. Die vierte Konstellation umschreibt den Fall, dass sich innerhalb der gesellschaftlichen Eliten kriminelle Netzwerke gebildet haben. Beispiele liefern die auf höchster Ebene angesiedelten Korruptions- und Parteispendenskandale. Die beiden ersten Varianten passen eher zu dem Bild einer Konfrontation von organisierter Kriminalität und Gesellschaft, die beiden letzteren eher zu der Annahme, dass organisierte Kriminalität ein integraler Bestandteil der Gesellschaft ist. Je nachdem welche dieser Konstellationen man im Auge hat, fällt die Antwort auf die Frage ganz unterschiedlich aus, welche Bedrohung von "der" organisierten Kriminalität tatsächlich ausgeht. Mitglieder sozial isolierter Netzwerke dürften die größten Schwierigkeiten bei dem Versuch zu überwinden haben, Einfluss auf gesellschaftliche Institutionen zu gewinnen, mögen sie auch noch so zahlungskräftig und gewalttätig sein. Denn um tatsächlich Einfluss ausüben zu können, bedarf es des Aufbaus kriminell nutzbarer Kontakte über denkbar große kulturelle Gräben und Barrieren hinweg. Kaum leichtere Bedingungen dürften für Angehörige ethnischer Minderheiten gelten. Selbst in Fällen, wo es Angehörigen dieser gesellschaftlich marginalisierten Netzwerke gelungen ist, korruptive Beziehungen aufzubauen, ist Vorsicht geboten. Denn das bedeutet noch nicht, dass diese Kriminellen tatsächlich Einfluss auf staatliche Institutionen gewonnen haben. Es könnte auch umgekehrt sein! Nicht selten stellen sich zum Beispiel Fälle von Polizeikorruption als Schutzgelderpressungen dar, bei denen sich die Kriminellen in der Opferrolle wiederfinden. Im Gegensatz zu den sich in gesellschaftlichen Randbereichen entwickelnden kriminellen Netzwerken bestehen kaum kulturelle Barrieren zwischen sozial integrierten Kriminellen, die den Mittelschichten angehören, und den Führungsschichten in Politik und Wirtschaft. Der Berliner Bauskandal der 80er Jahre hat dies schlaglichtartig beleuchtet (Ciupka/Schmidt 1989). Im Fall der in den Eliten verankerten kriminellen Netzwerken schließlich stellt sich die Frage der Einflussnahme im hier verstandenen Sinne nicht. Maßgeblich ist stattdessen, welche Spielräume die Gesellschaft ihren Eliten einräumt, die staatlichen und gesellschaftlichen Institutionen für eigennützige Zwecke zu missbrauchen. Die voranstehenden Überlegungen besagen also, dass die Möglichkeit der Einflussnahme auf die gesellschaftlichen Institutionen und damit der Grad der Gefährlichkeit für die Gesellschaft mit dem Grad der sozialen Integration zunimmt. Folgt man dieser wohl zumindest plausiblen Betrachtungsweise, dann stimmt etwas nicht mit der Art und Weise, wie das Thema organisierte Kriminalität von Medien, Politik und Strafverfolgungsbehörden behandelt wird. Die Aufmerksamkeit konzentriert sich auf Angehörige von Randgruppen, namentlich das Rotlichtmilieu und marginalisierte ethnische Minderheiten, also gerade auf solche kriminellen Netzwerke und Organisationen, die, relativ gesehen, die geringsten Chancen haben, zu einer existenziellen Bedrohung für unsere Gesellschaftsordnung zu werden. Das Instrumentarium der OK-Bekämpfung Auf der Grundlage der voranstehenden Überlegungen zu den Ausprägungen krimineller Strukturen möchte ich abschließend einige Bemerkungen zum Instrumentarium der OK-Bekämpfung machen. In den letzten acht Jahren, angefangen 1992 mit der Verabschiedung des OrgKG, des Gesetzes zur Bekämpfung der Rauschgiftkriminalität und anderer Formen der Organisierten Kriminalität, sind eine ganze Reihe von Maßnahmen eingeführt und deren Anwendungsbereiche beständig erweitert worden. Dazu gehören insbesondere das Verbot der Geldwäsche und die Erweiterung der Möglichkeiten, illegale Vermögenswerte abzuschöpfen, der große Lauschangriff und der Einsatz verdeckter Ermittler im Bereich der Strafverfolgung und die allerdings 1999 ausgelaufene Kronzeugenregelung für Mitglieder krimineller Vereinigungen. Bevor man sich auf dieses Maßnahmenbündel stürzt, sollte man sich vor Augen führen, dass es sich nur um einen engen Ausschnitt der gesamten Palette politisch-gesetzgeberischer Möglichkeiten handelt. Zu denken ist neben dem Polizei- und Strafrecht etwa an das Steuerrecht, das Verwaltungsrecht und das Zivilrecht, mit dem z.B. der Freiraum für Kapitalanlagebetrüger erheblich eingegrenzt werden könnte. Daneben muss die Frage der Legalisierung bestimmter Verhaltensweisen diskutiert werden. Das gilt insbesondere im Hinblick auf Drogen und Prostitution. Beschränkt man die Betrachtung, des ungeachtet, auf den üblichen Rahmen der OK-Diskussion, so muss man den Verfechtern polizei- und strafrechtlicher Instrumente zunächst einmal zugestehen, dass diese durchaus geeignet sind, die Entfaltungsmöglichkeiten krimineller Netzwerke zu beeinträchtigen, und zwar nicht nur im konkreten Fall der Anwendung, sondern generell, indem sie die Bedingungen verändern, unter denen Netzwerke kriminell nutzbarer Kontakte entstehen und fortbestehen können. So werden durch die Maßnahmen zur Bekämpfung der Geldwäsche kriminelle Akteure gezwungen, die Reichweite ihrer kriminell nutzbaren Kontakte auf den Finanzsektor auszudehnen. War es früher möglich, mit einer Plastiktüte voll Bargeld zu jeder Bank zu gehen, müssen zum Zweck der Sicherung von illegalen Profiten jetzt genauso Vertrauensbeziehungen ausgenutzt bzw. aufgebaut werden wie zum Zwecke jedes anderen kriminellen Vorhabens. Die erweiterten Möglichkeiten der Aufzeichnung nicht-öffentlicher Kommunikation, darunter der große Lauschangriff zur Überwachung von Wohn- und Geschäftsräumen, erschweren die Bedingungen, unter denen der Austausch von Informationen innerhalb krimineller Netzwerke erfolgen kann. Verdeckte Ermittler, ebenso wie V-Personen, behindern die Ausweitung kriminell nutzbarer Kontakte. Kronzeugenregelungen schließlich gefährden den Fortbestand krimineller Netzwerke, und zwar gewissermaßen auch in einem generalpräventiven Sinne dadurch, dass sie Misstrauen zwischen den Angehörigen eines kriminellen Netzwerkes säen. Diesen Wirkungsweisen stehen allerdings einige gewichtige Vorbehalte gegenüber. An erster Stelle steht die Abwägung von Kosten und Nutzen. Das ist zum Teil ein finanzielles Problem. Die Anwendung der genannten Maßnahmen kann erhebliche Kosten verursachen, ohne dass in jedem Fall ein Erfolg garantiert wäre. Bundesweit 11.009 Meldungen verdächtiger Geldbewegungen im Zeitraum Oktober 1993 bis Februar 1994, beispielsweise, führten nur zu zwei Anklagen und einer Verurteilung wegen Geldwäsche (Pütter 1998, S. 140). Eine 1997 vorgelegte Untersuchung zur Bekämpfung der Geldwäsche in der Bundesrepublik kommt dementsprechend zu dem Schluss, der erhebliche Verwaltungsaufwand stehe in keinem Verhältnis zu den erreichten Erfolgen (Oswald 1997, S. 289). Ein ähnliches Fazit legt das OK-Lagebild des Bundeskriminalamts für das Jahr 1999 nahe. Nur in rd. 22 % der Ermittlungsverfahren wegen organisierter Kriminalität wurden Maßnahmen zur Sicherung der Vermögensabschöpfung durchgeführt, und dies führte lediglich zur Sicherstellung bzw. Beschlagnahme von 6 % der geschätzten illegalen Gewinne (Bundeskriminalamt 2000, S. 7). Das Verhältnis von Kosten und Nutzen ist aber auch und gerade im Hinblick auf die Grundrechte und das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit relevant. Erste Berichte über den Einsatz des großen Lauschangriffs bestätigen lang gehegte Befürchtungen. So dokumentiert das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" den Fall einer Wohnraumüberwachung aus dem Jahre 1998, die sich gegen den Angeklagten in einem Mordprozess richtete. Dabei handelte es sich auch nach Auffassung der Staatsanwaltschaft nicht etwa um eine Tat aus dem Bereich der organisierten Kriminalität, sondern um eine Beziehungstat im privaten Nahraum. Brisant ist dieser Fall nicht zuletzt dadurch, dass die Anordnung des Lauschangriffs erst erfolgte, nachdem erste Zeugenvernehmungen im laufenden Strafprozess nicht die von der Staatsanwaltschaft gewünschten Ergebnisse erbracht hatten (Der Spiegel 26/1999, S. 54f.). Daneben belegt dieses Beispiel, dass der Einsatz der zur OK-Bekämpfung eingeführten Instrumentarien nicht auf die OK-Bekämpfung beschränkt bleibt, was allerdings mangels eines gesetzlichen Eingriffstatbestands "organisierte Kriminalität" realistischerweise nicht anders zu erwarten war. Das Problem der Zielauswahl stellt sich schließlich noch in anderer Weise. In der Praxis der OK-Bekämpfung wird nur ein Ausschnitt dessen erfasst, was nach der offiziellen Definition organisierte Kriminalität ist. Namentlich gegen so schadensträchtige Deliktsbereiche wie die Umwelt- und Wirtschaftskriminalität gelangt das zur Verfügung stehende Instrumentarium nur selten, wenn überhaupt, zum Einsatz (Bundeskriminalamt 2000, S. 28; Pütter 1998, S. 113). Insgesamt sind die Instrumentarien der OK-Bekämpfung damit zwar generell geeignet, der Entfaltung krimineller Netzwerke entgegenzuwirken. Die Anwendung der Instrumente ist jedoch bei Gegenüberstellung von Kosten und Nutzen eher ineffektiv, mitunter rechtsstaatlich äußerst problematisch und in der Zielauswahl auf Kosten der Bekämpfung besonders gefährlicher und schadensträchtiger Kriminalitätserscheinungen unangemessen selektiv. Zusammenfassung "Organisierte Kriminalität" ist ein historisch gewachsener, unscharfer und mehrdeutiger Begriff. Im Kern bezieht er sich auf Netzwerke kriminell nutzbarer Kontakte, die die Grundlage für verschiedene Ausprägungen krimineller Strukturen bilden. Viele Aussagen über das Wesen organisierter Kriminalität, etwa über die Vorherrschaft komplexer krimineller Organisationen, die immer größere Macht innerhalb des kriminellen Milieus ansammeln und zunehmenden Einfluss auf staatliche Institutionen gewinnen, beruhen auf klischeehaften Vorstellungsbildern, die sich bei näherem Hinsehen so nicht bestätigen. Nicht alle kriminellen Netzwerke und Organisationen stellen in gleichem Maße eine Bedrohung dar. Während sich die Aufmerksamkeit der Medien und der Strafverfolgung auf sozial isolierte kriminelle Netzwerke und Gruppierungen am Rande der Gesellschaft konzentriert, haben gesellschaftlich integrierte kriminelle Netzwerke die größten Chancen einer Einflussnahme auf Staat und Wirtschaft. Zu einer existenziellen Bedrohung für den demokratischen Rechtsstaat dürften Netzwerke kriminell nutzbarer Kontakte aber nur dann werden, wenn sie ganz oben, innerhalb der gesellschaftlichen Eliten, verankert sind. OK-Bekämpfung hat daher nicht nur etwas mit Gefahrenabwehr und Strafverfolgung, sondern sehr viel auch mit Transparenz und demokratischer Kontrolle gesellschaftlicher Macht zu tun. Literatur: Bundeskriminalamt, Lagebild Organisierte Kriminalität Bundesrepublik Deutschland 1999 (pressefreie Kurzfassung), Wiesbaden: Bundeskriminalamt, Mai 2000. Chin, Ko-Lin, Chinese Subculture and Criminality: Non-traditional Crime Groups in America, New York/Westport: Greenwood, 1990. Ciupka, Joachim/Schmidt, Uwe, Beispiele gefällig? Eine Situationsanalyse der Organisierten Kriminalität in Berlin, in: Kriminalistik 43 (4), 1989, S. 199-204. Finckenauer, James/Waring, Elin, The Russian Mafia in America: Immigration, Culture, and Crime, Boston: Northeastern University Press, 1998. (mehr zu diesem Buch) von Lampe, Klaus, Organized Crime: Begriff und Theorie organisierter Kriminalität in den USA, Frankfurt/M. u.a.: Peter Lang, 1999. (mehr zu diesem Buch) Oswald, Katharina, Die Implementation gesetzlicher Maßnahmen zur Bekämpfung der Geldwäsche in der Bundesrepublik Deutschland, Freiburg: Max-Planck-Institut, 1997. Pütter, Norbert, Der OK-Komplex: Organisierte Kriminalität und ihre Folgen für die Polizei in Deutschland, Münster: Verlag Westfälisches Dampfboot, 1998. (mehr zu diesem Buch) Rebscher, Erich/Vahlenkamp, Werner, Organisierte Kriminalität in der Bundesrepublik Deutschland: Bestandsaufnahme, Entwicklungstendenzen und Bekämpfung aus der Sicht der Polizeipraxis, Wiesbaden: Bundeskriminalamt, 1988. Sieber, Ulrich/Bögel, Marion, Logistik der Organisierten Kriminalität: Wirtschaftswissenschaftlicher Forschungsansatz und Pilotstudie zur internationalen Kfz-Verschiebung, zur Ausbeutung von Prostitution, zum Menschenhandel und zum illegalen Glücksspiel, Wiesbaden: Bundeskriminalamt, 1993. Ziegler, Jean, Die Barbaren kommen: Kapitalismus und organisiertes Verbrechen, München: C. Bertelsmann, 1998. (mehr zu diesem Buch) (C) Klaus von Lampe, alle Rechte vorbehalten. |